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Geschichte an der Uni Wien
ANTI-ANTISEMITISCH
Antisemitismus hat viele Gesichter. Er äußert sich als Verschwörungstheorie (New World Order, Quanon etc.), vulgärer Antikapitalismus, als Diffamierungskampagne gegen Israel (»Israelkritik«), oder, ungebrochen aktuell, als genozidale Vernichtungsfantasie nazistischer oder islamistischer Prägung. Alle diese Phänomene verbindet das »Gerücht über die Juden« (Theodor W. Adorno), die Vorstellung, dass jüdische Menschen heimlich die Geschicke der Welt lenken. Das antisemitische Ressentiment ist paradox: Antisemit*innen degradieren Jüdinnen*Juden einerseits zu Angehörigen einer defizitären Kultur oder »Rasse«, schreiben ihnen andererseits aber die Fähigkeit zu, fortgesetzt Weltverschwörungen anzuzetteln, die »Volksgemeinschaft« zu zersetzen und/oder das »globale Finanzkapital« zu kontrollieren.

Im Laufe seiner über zweitausendjährigen Geschichte haben sich die Parameter des Antisemitismus immer wieder verschoben, sein mörderischer Kern blieb davon aber unberührt. Angefangen beim christlichen Antijudaismus über die Konsolidierung des modernen chauvinistisch-rassistischen Antisemitismus im 19. Jahrhundert bis hin zum eliminatorischen Antisemismus der Nazis und dem Zivilisationsbruch der Shoah - Antisemtismus ist ein irreduzibler Teil der europäischen und namentlich auch der österreichischen Geschichte, und er dauert an: Der Antisemitismusbericht 2019 der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und des Forums gegen Antisemitismus (veröffentlicht: Mai 2020) verzeichnete unlängst einen neuerlichen Anstieg antisemitischer Vorfälle in Österreich. Das darin dokumentierte Gewaltspektrum, das von Vandalismus über Hassbotschaften im Internet bis hin zu tätlichen Angriffen reicht, beweist, dass der Antisemitismus nichts von seiner ideologischen Zugkraft - und praktischen Gefährlichkeit - eingebüßt hat. Seine »Programmatik« ist so alt wie effektiv: In einer Welt voller Widersprüche, unübersichtlicher Konfliktlagen, moralischer Grauzonen und Ambivalenzen verspricht er die ultimative Klarheit qua Feinderklärung: »An allem sind die Juden schuld.« Diesem Wahn, wie immer er sich manifestiert, entschieden entgegenzutreten, das heißt für uns: gegen jeden Antisemitismus zu sein.
Fußnote zu »An allem sind die Juden schuld.«: Der Satz ist ein Zitat aus dem gleichnamigen anti-antisemitischen Couplet des Berliner Komponisten Friedrich Hollaender aus dem Jahr 1931.