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Lothar Höbelt historisiert die Corona-Krise oder Das Recht des Stärkeren in der Pandemie

 

Er kann es nicht lassen. Nach den Protesten aufgrund seines Vortrags bei der 4. Herbstakademie des Instituts für Staatspolitik (IfS)[1] zum Thema »Volk« 2019[2], der Diskussion mit der damaligen ÖH-Vorsitzenden Jasmin Chalendi beim Standard[3] und der darauf folgenden Stellungnahme des Instituts für Geschichte[4] ist es ruhig geworden um Lothar Höbelt. Angesichts seiner baldigen Pensionierung mochte man annehmen bzw. hoffen, dass es dabei bleiben würde. Aber nun meldet Höbelt sich neuerlich zu Wort, und zwar in einer Veröffentlichung des Freiheitlichen Bildungsinstituts (FBI - kein Scherz) zur Corona-Pandemie: »Corona - Anatomie einer Krise« (mit einem Geleitwort von Herbert Kickl). Wohl um dem naheliegenden Verdacht der politischen Komplett-Verblödung der Freiheitlichen etwas entgegenzusetzen, hat die FPÖ kurzerhand ein paar stramm rechte Akademiker mit Doktortitel und - man(n) geht mit der Zeit - eine promovierte Akademikerin[5] - zusammengetrommelt und damit betraut, ihrem Corona-Relativismus einen seriös-wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen. Viel Mühe hat der Klüngel sich dabei nicht gegeben. Statt ›messerscharfer‹ Analysen, wie der Untertitel suggeriert (»Anatomie«), präsentieren die Krisen-Forensiker ein Mashup der bekannten Verschwörungsnarrative. Die Stoßrichtung wird spätestens ab Seite 14 deutlich, auf der Herausgeber Andreas Mölzer die Stichwortgeber der aus seiner Sicht völlig überzogenen österreichischen Corona-Krisenpolitik - natürlich, wie könnte es anders sein - in Israel vermutet (»dem Vernehmen nach...«).[6] Mölzer kennt die antisemitischen Reflexe seiner Kameraden und er bedient sie gerne.

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Quelle: Titebild von Andreas Mölzer (Hg.), CORONA Anatomie einer Krise (Wien 2021)

Auch weiters hält die Broschüre wenig Überraschendes bereit: die üblichen Verrenkungen zwischen Opfer- und Heldenpose, viel Gejammer und Geraune. Herbert Kickl fordert »lückenlose Aufklärung« (wohl kaum der eigenen Parteigeschichte?).[7] ZurZeit-Redakteur Bernhard Tomaschitz liefert, reichlich verspätet, eine Apologie der Corona-Politik Donald Trumps (»Richtig ist vielmehr, dass der US-Präsident bereits besonders früh reagiert hat«).[8] Der ehemalige FPÖ-Nationalratsabgeordnete Wilhelm Brauneder lamentiert über die Flut der Corona-Schutzmaßnahmen, die so undurchsichtig seien, dass »sie niemand kennen kann und daher in steter Angst lebt, sich falsch zu verhalten.«[9] Ein Blick ins Internet könnte helfen. Dort würde Brauneder auch erfahren, dass Sars-Cov-2 kein »Bazillus«[10] ist, sondern ein Virus, vorausgesetzt, sein Algorithmus ist nicht schon völlig im Eimer...

Als Emeritus gehört Brauneder übrigens zu dem illustren Kreis der Professoren unter den Beitragenden. D.h. es handelt sich, genau genommen, um keinen »Kreis«, eher um eine, sagen wir, »Doppelspitze«. Weiters darf sich unter den Autoren nur noch Ex-FAZ-Journalist und Südtirol-Versteher Reinhard Olt Professor nennen. Das macht in Summe: Zwei FBI-Schreiber mit Professorentitel.[11] Eine ziemlich magere Bilanz für eine Publikation, die sich augenscheinlich als Eliten-Organ versteht... Aber halt: Vergessen wir nicht Herrn Professor Höbelt? Höbelt, der in der Publikation ebenfalls - allerdings fälschlich - als »Univ.-Prof.« vorgestellt wird, hat an der Universität Wien den Status eines »außerordentlichen Universitätsprofessors«. Die Differenz zu den »ordentlichen« bzw. im Zuge eines Berufungsverfahrens bestellten Professor*innen ist in Publikationen durch den Titelzusatz »ao.« zu kennzeichnen. Darüber hinaus hat Höbelt dem Institut für Geschichte 2019 versichert, dass er künftig in Publikationskontexten außerhalb der Universität Wien auf die Nennung seiner universitären Funktionsbezeichnung verzichten werde, nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf die Reputation seines Arbeitgebers. Dessen ungeachtet heißt es in der Veröffentlichung des FBI: »Univ.-Prof. Dr. Lothar Höbelt lehrt Neuere Geschichte an der Universität Wien.« Dies nur am Rande, und um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie schlimm es um die Profilierungsnöte unter den Freiheitlichen und das Ego Lothar Höbelts steht. Kommen wir aber zu dessen Text.

In seinem Beitrag mit dem pompösen Titel »Epidemien und Erinnerung«[12] versucht sich Höbelt an einer Art ›kleinen Weltgeschichte der großen Seuchen vom Mittelalter bis zur Gegenwart‹. Das Ergebnis ist eine saloppe Aneinanderreihung der erwartbaren Referenzen (Pest, Syphilis, Spanische Grippe etc.), gespickt mit den üblichen, mehr oder weniger subtilen Rassismen und Relativismen aus dem Hause Höbelt und einer fachlich ebenso abgedroschenen wie politisch vorhersehbaren Pointe. Doch der Reihe nach. Wenig überraschend eröffnet der Autor mit seinem Lieblingssujet: der Habsburgermonarchie. Nach dem Hinweis auf den Wiener Pestausbruch von 1679 (»wenige Jahre vor der zweiten Türkenbelagerung«[13], wie Höbelt natürlich nicht umhin kommt anzumerken) geht es bald um den habsburgischen cordon sanitaire, einen Anfang des 18. Jahrhunderts unter Joseph I. eingerichteten Grenzgürtel zur Seuchenabwehr, der, wie Höbelt mit einiger Genugtuung registriert, jüngst die Aufmerksamkeit zweier etablierter US-amerikanischer Historiker auf sich hat ziehen können. Mit der Corona-Pandemie, so scheint er zu hoffen, mag den Habsburgern doch noch der verdiente Ehrenplatz im globalen Pantheon der Seuchenbekämpfung zuteil werden. Gut gelaunt imperial geht es weiter, wenn Höbelt im nachfolgenden Absatz die Epidemiewellen der frühen Neuzeit zum Anlass nimmt, um ein paar zünftige alternative facts zum europäischen Kolonialismus zu streuen. Nicht nur verklärt er die Phase »um 1500« kindlich verzückt zum »Zeitalter der Entdeckungen« (»Freibeuter und Piraten« inklusive)[14], er relativiert auch gezielt die Gewaltdimension der europäischen Expansionspolitik jener Zeit. In einer an Dummdreistigkeit kaum zu überbietenden Passage über die Kolonisierung Amerikas und das Massensterben unter den Kolonisierten aufgrund der aus Europa eingeschleppten Krankheiten heißt es: »Die Dezimierung der amerikanischen Ureinwohner [...] war weniger auf robuste Kolonisationsmethoden [Herv. d. Verf.] zurückzuführen als auf das ›rassistische‹ Verhalten der europäischen Keime.«[15]

 

Im Mittelteil verliert Höbelt dann zusehends seine Fragestellung aus dem Blick. Ging es ihm eingangs noch um den Status von Epidemien im »kollektiven Gedächtnis«[16], so verzettelt er sich nun in anekdotischen Einlassungen zu den Krankengeschichten lokaler Kulturgranden (Klimt und Co.). Er springt erratisch zwischen den Themen Krise, Krieg und Krankheit, ohne einen Zusammenhang zwischen den Phänomenen herzustellen. An Stelle von Thesen präsentiert er Gemeinplätze (»Krisen kennen Gewinner und Verlierer.«[17]) Die Corona-Pandemie ist ihm nur einen kurzen (aber reichlich kruden) Einschub wert: Die Lockdown-Politik, raunt er, solle vor allem über die anhaltende Rezession hinwegtäuschen, für die das Virus einen »plausiblen Sündenbock« darstelle. Über das Ausmaß der gesundheitlichen Verwüstungen ein Urteil zu fällen, wäre indes »mehr als voreilig«.[18] Höbelt schließt seinen Text mit einer langatmigen Reflexion zum Thema »Umverteilung als Resultat von Epidemien«[19]. Als Beispiel dient ihm der soziale »Strukturwandel«[20] im Nachgang der Pest im spätmittelalterlichen Europa. An dem Umstand, dass die Seuche binnen weniger Jahre Millionen Menschen dahingerafft hat, hält Höbelt sich nicht lange auf. Er lenkt den Blick auf die positiven Folgeeffekte des Bevölkerungsrückgangs, etwa die erweiterten Möglichkeiten gehobenen Konsums. Allein die adeligen Eliten, die in den Jahrhunderten nach der Epidemie ökonomisch das Nachsehen hatten, bedenkt der Autor mit ein paar teilnahmsvollen Einlassungen. Betroffen erinnert er an den »enorm hohen Blutzoll unter dem Hochadel«[21], den die englischen Rosenkriege forderten. Unterm Strich, so Höbelt, hätten die Ausleseprozesse während und nach der Pest aber zu einem Mehr an Wohlstand und Glück für alle geführt. Er resümiert: »Eine schrumpfende Bevölkerung führt zu höherem Pro-Kopf-Einkommen: Von dem größeren Spielraum für verfeinerten ›Luxus‹ aber war es nicht weit zur Hochkultur der Renaissance, die sich gerade in Zeiten der demographischen Krise durchzusetzen begann.«[22] Massensterben als Modernisierungsmotor. Da drängen sich noch andere Assoziationen auf...

Auf die fachliche Dürftigkeit von Höbelts Text muss hier nicht weiter eingegangen werden. Entscheidender ist der Schluss, den seine Seuchen-Suade in Hinblick auf die gegenwärtige Pandemie und die Corona-Politik der FPÖ nahelegt: Epidemien, so lernen wir von Herrn Höbelt, gehören zum historischen Normalgeschehen und befördern die Konjunktur. Corona scheint da keine Ausnahme zu bilden. Sprich: Wenn die Österreicherinnen und Österreicher brav zum Status Quo ante zurückkehren und der Durchseuchung ihren Lauf lassen (wie es die FPÖ lärmend und ganz im Sinne des heimischen Kapitals fordert), dann dürfen sie, folgen wir Höbelts ›Argumentation‹, im Post-Pandemie-Zeitalter sogar mit ein bisschen mehr Geld im Börsl rechnen, vorausgesetzt natürlich, sie gehören zu den Glücklichen, die das Virus überlebt haben. Man kann das mit sehr viel Nachsicht als einen Fall massiver Denkfaulheit abtun, oder aber als das identifizieren, was es ist: ein weiterer gezielt platzierter ideologischer Rülpser Lothar Höbelts, der beweist: Wo es gilt, die neueste Schwachsinns-Agenda der FPÖ pseudowissenschaftlich zu unterfüttern, stellt Höbelt sich gerne zur Verfügung, natürlich unter Nennung seines (nicht ganz korrekten) Funktionstitels an der Universität Wien. Man zeigt, was man hat bzw. zu haben meint. Dass er sich mit seiner Pensionierung auf anderes verlegen wird – seriöse Geschichtsforschung vielleicht? –, ist nicht zu erwarten.

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[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/verfassungsschutz-beobachtet-institut-fuer-staatspolitik-treffpunkt-der-neuen-rechten-als-verdachtsfall-eingestuft/25768692.html; zuletzt aufgerufen am: 02.05.2021, https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/230002/es-geht-um-einfluss-auf-die-koepfe-das-institut-fuer-staatspolitik; zuletzt aufgerufen am: 02.05.2021, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/rechtsextremismus-goetz-kubitscheks-institut-fuer-staatspolitik-wird-zum-verdachtsfall-a-a099e200-d1b6-4b9c-a36c-87e6419e0e31; aufgerufen:

https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-05/neue-rechte-rechtsextremismus-denkfabrik-goetz-kubitschek?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F; zuletzt aufgerufen am: 02.05.2021

[2] https://staatspolitik.de/tag/lothar-hoebelt/, zuletzt aufgerufen am: 02.05.2021

[3] https://www.derstandard.at/story/2000113530780/schlacht-ums-ns-gedenken-wie-politisch-darf-die-uni-sein; zuletzt aufgerufen am: 02.05.2021

[4] https://ifg.univie.ac.at/news-events/einzelansicht/news/stellungnahme/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=7cc30982ea8505515c55c4c65c2f4538, zuletzt aufgerufen am: 02.05.2021

[5] FPÖ-Nationalratsabgeordnete und -Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch, in einem Interview mit dem assoziationsreichen Titel »Österreicher zuerst!«, Dagmar Belakowitsch, »Österreicher zuerst!« als Motto für den Arbeitsmarkt. In: Andreas Mölzer (Hg.): Corona - Anatomie einer Krise. Wien 2020, S.73-77

[6] Andreas Mölzer, Dimensionen einer Krise. In: Andreas Mölzer (Hg.): Corona - Anatomie einer Krise. Wien 2020, S.13-14

[7] Herbert Kickl, Vorwort. In: Andreas Mölzer (Hg.): Corona - Anatomie einer Krise. Wien 2020, S.8

[8] Bernhard Tomaschitz, »Gute« Schweden, »böser« Trump. In: Andreas Mölzer (Hg.): Corona - Anatomie einer Krise. Wien 2020, S.137

[9] Wilhelm Brauneder, Das Reichstagsbrand-Syndrom. In: Andreas Mölzer (Hg.): Corona - Anatomie einer Krise. Wien 2020, S.191

[10] Ebd. S.190

[11] Wohl um dieses Defizit zu kompensieren, kommen zahlreiche Professoren in der Publikation zitatweise zu Wort. Sie gehören aber nicht zur Liste der beitragenden Autoren.

[12] Lothar Höbelt, Epidemien und Erinnerungen. In: in  Andreas Mölzer (Hg.): Corona - Anatomie einer Krise. Wien 2020, S.154-159

[13] Ebd. S. 154

[14] Ebd. S. 154f.

[15] Ebd. S. 155

[16] Ebd. S. 154

[17] Ebd. S. 155

[18] Ebd. S. 155f.

[19] Ebd. S. 157

[20] Ebd. S. 159

[21] Ebd. S. 158

[22] Ebd. S. 159

Der selbsternannte "Universitätsprofessor" Lothar Höbelt in Quelle: Andreas Mölzer (Hg.), CORONA Anatomie einer Krise (Wien 2021) s154.

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